01.09.2011
Aufgeregt pocht mein Herz. Adrenalin durchströmt meinen Körper, die Müdigkeit von der anstrengenden Anreise ist dahin. 7 Stunden hatte ich zuvor am Flughafen von Delhi totschlagen müssen, ehe ich den letzten Schritt nach Nepal antreten durfte. 7 Stunden, in denen die Frage überwog: Was erwartet mich in Nepal?
Der kurze Flug von New Delhi nach Kathmandu hat nicht viel Gelegenheit gegeben, meine Gedanken zu sortieren. Vorfreude auf ein großes Abenteuer, das Nervenkitzeln auf etwas Neues, die Spannung des Unbekannten…
Das Flugzeug setzt zur Landung an. Nur noch wenige hundert Meter schweben wir über nepalesischen Boden. Das extrem dichte Häusermeer ist schon klar zu erkennen. Ist es wirklich hier, wo ich mich die nächsten drei Monate zurechtfinden muss? Erinnerungen schießen mir durch den Kopf – Erinnerungen von einer lang zurückliegenden Zeit. Einer Zeit, in der ich mit meinen Eltern zum ersten Mal Vietnam besucht hatte. Damals – vor 12 Jahren – als ich in Watte eingepackt hinein in ein Entwicklungsland katapultiert wurde – als ich zum ersten Mal mit Armut konfrontiert wurde.
Das Nepal, das ich aus dem Flugzeug sehe, spiegelt genau das damalige Vietnam wider. Ich kenne das! Das wird schon… sind die letzten Gedanken, ehe ich gemeinsam mit all den anderen Reisenden aus dem Flugzeug trete. Es ist früher Vormittag, aber dennoch laufe ich gegen eine schwüle Wand. Die Temperaturen sind schon hoch.
Willkommen im Monsun!
Der Flughafen ist mit Abstand der kleinste, den ich jemals betreten habe. Dafür ist das Chaos umso größer. Am einzigen Gepäckband stehen hunderte Passagiere herum. Koffer und Rucksäcke drehen ihre Runden. Gepäck aus verschiedenen Fliegern. Koordination Fehlanzeige. Stattdessen hieven genervte Gestalten das einrollende Gepäck vom Band. Ein unorthodoxer Haufen voller Koffer ist direkt vor dem Gepäckband die neue Anlaufstelle zum Suchen. Kommt mein Koffer noch? Oder ist mein Koffer schon im Haufen?
Nach erfolgreicher Suche rolle ich schwer bepackt meinen Koffer Richtung Ausgang. Ein Flughafenmitarbeiter stürmt herbei, bietet seine Hilfe an. Ich verneine. Er redet auf mich ein. Sein Englisch ist schlecht. Ich versuche mich zu befreien. Er schnappt sich meinen Koffer. Ich habe kein Geld, sage ich. Ich müsse nicht ihn bezahlen, entgegnet er. Ich bin beruhigt und froh, die schwere Last los geworden zu sein. Nach maximal 20 Metern stoppt er, weiter dürfe er nicht gehen. Er verlangt nun Bezahlung. Wiederholt sage ich, dass ich kein Geld bei mir habe. Er fängt an zu betteln, bittet um ein paar Dollar. Ich bin müde und mit meinen Nerven am Ende. Ich will raus aus dem Flughafen. Gereizt stecke ich ihm meine letzten 3 Dollar-Noten zu, ohne mir wirklich Gedanken gemacht zu haben, wie viel das tatsächlich ist…
Menschenmassen warten bereits vor dem Flughafen auf die Menschenmassen, die aus dem Flughafen kommen. Zufällig erkenne ich das Schild der Vermittlungsorganisation meines Volontariats. Ich schlage mich regelrecht durch die Massen, kämpfe gegen Taxifahrer an, die mich alle in ihr Auto locken wollen. Stress pur. Ich schwitze, habe Durst, kein nepalesisches Geld und keine Ahnung, wo ich hier hinein geraten bin. Mein Fahrer wirft meinen Koffer aufs Fahrzeugdach. Ich schau mir seinen kleinen Van an. Die letzte TÜV-Prüfung stammt wohl noch von vor dem zweiten Weltkrieg. Eine Klapperkiste, deren Hauptausstattung Staub ist. Ich suche vergeblich nach einem Gurt zum Anschnallen, mein Fahrer muss leicht schmunzeln.
Er rast durch die engen, aber überfüllten Straßen. Überall wird gehupt. Große Busse, kleine Busse, Taxen, Mopeds. Abgase werden in die Atmosphäre geschleudert. Jetzt verstehe ich, warum mein Fahrer direkt einen Mundschutz übergezogen hatte. Die Gerüche sind intensiv. Wenn es nicht gerade Abgase sind, schießt mir an der ein oder anderen Ecke ein bestialischer Gestank in die Nase. Es ist heiß in der knallenden Sonne. Der Staub in den Straßen unerträglich. Die Straßen und Häuser sehen alle gleich aus. Wohin fährt er mich noch gleich? Ich versuche mir Eckpunkte zu merken – vergeblich. Orientierungslos sauge ich die Umgebung auf. Es ist eine komplett andere Welt, die mir begegnet. Eine Welt, die noch weitaus ärmer scheint als das damalige Vietnam von vor 12 Jahren.
Ich sehe ältere Menschen auf Straßen liegen. Sehe Menschen, die auf ihrem Rücken extrem schwere Lasten tragen. Sehe wie Kinder mit einem kaputten Ball spielen. Sehe eine Gruppe Frauen vor einer kleinen Brunnenanlage. Spüre wie entgegenkommende Menschen mich mit ihren Blicken durchbohren. Sehe Kühe und Ziegen auf den Straßen, sehe Menschen auf Müllbergen. Sehe generell überall Müll auf den Straßen. Sehe zum ersten Mal extreme Armut… Erste Zweifel kommen auf, ob ich es hier in Nepal auch wirklich drei Monate aushalten kann…
Ich komme im Touristenviertel an. Noch mehr Menschen auf engstem Raum. Fahrzeuge zwängen sich durch die viel zu engen Gassen der Innenstadt. Es geht schleppend voran. Die vielen Schlaglöcher in den Straßen sind noch mit Regenwasser gefüllt. Es ist laut hier – hektisch, unkoordniert. Ich werde an jeder Ecke von aufdringlichen Verkäufern angesprochen. An jeder Ecke rückt man mir auf die Pelle. Nein, ich will nichts kaufen. Es macht keinen Spaß durch das Touristenviertel zu laufen. Ich komme nicht zur Ruhe. Werde ich genau hier meine kompletten drei Monate verbringen? Bitte nicht…
Ein heftiger Regen ergießt sich am späten Nachmittag. Binnen weniger Sekunden sind Teile der Straße nun unbegehbar. Es ist nun etwas kühler geworden, aber die hohe Luftfeuchtigkeit ist immer noch erdrückend. Die Wolken hatten sich schnell zusammengezogen und bilden nun ein tief graues Meer. Der Monsun grüßt mit all seiner Macht. Ich blicke von meinem Hotelzimmer zum Himmel. Die dicken Regentropfen peitschen gegen die Fensterscheibe. Ich starre in die Ferne. Mein Kopf ist völlig leer.
Wo bin ich nur hier gelandet?
geschrieben von Khai-Thai
(mehr von mir hier)
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Das sind wirklich meine ersten Eindrücke gewesen. Aber nachdem ich zum ersten Mal in Kontakt mit den wundervollen Kindern der Snowland Ranag School kam und endlich bei meiner Gastfamilie untergebracht wurde, waren die Zweifel wie vom Monsun weggespült.
Ich habe mich in dieses Land und deren Menschen verliebt und freue mich sehr, dass es ein so großer Bestandteil meines Lebens geworden ist!
LG Khai