Erfahrungsbericht: Das Leben nach dem großen Beben.

Das Leben in Nepal nach dem Beben

Mit jeder Stunde, die im Flieger vergeht, steigt die Freude auf Nepal. Ich freue mich auf meine Freunde, die Kinder, das verrückte Kathmandu, das „andere“ Leben in Nepal. Am aller meisten sehne ich mich jedoch danach meine Lieben in die Arme schließen zu können, um wahrhaftig zu spüren, dass sie wohlauf sind.

Diesmal bin ich jedoch ein kleines bisschen angespannt. Ich weiß nicht recht, was mich erwartet in diesem zauberhaften, aber gebeutelten Land. Der medialen Berichterstattung ist nur bedingt zu vertrauen und muss je nach dem aus welchem Land sie kommt, politisch eingeordnet werden. Leider. Zwar habe ich durch wunderbare Nepali Freunde in Deutschland und engen Kontakt zu Freunden in Kathmandu, laufend die aktuelle Situation vor Augen geführt bekommen, jedoch ist mir bewusst, dass es dennoch erschütternd sein wird, Nepal und die Menschen dort wahrhaftig in dieser Situation zu sehen. Ich freue mich aber auf alle Herausforderungen, die sich mir stellen werden und wie sich später herausstellt, wird es die herausforderndste Reise meines Lebens.

Meine enge Vertraute Bimala holt mich am Flughafen ab, bei deren Familie ich lebe, wenn ich in Kathmandu bin. Ich habe sie darum gebeten. Nicht weil ich es nicht alleine meistern kann. Ich bewege mich im öffentlichen Verkehr und Leben so wie die Nepalis, auch wenn es bei mir hin und wieder eine Weile länger dauert in dem verrückten Verkehrssystem in Nepal an meinen Zielort zu gelangen. Dennoch komme ich immer an. Manchmal erschöpft von stundenlangen Bus- und Tuk Tuk-Fahrten, aber niemals ängstlich oder erschrocken wie es viele Menschen der westlichen Kultur erwarten würden. Niemals habe ich mich unsicher oder bedroht gefühlt in einem vollkommen überfüllten Bus, in dem man nicht mehr feststellen kann zu welchem Körper ein Arm oder ein Bein gehört. Nepalis sind herzlich und höflich zurückhaltend, speziell in einem engen Raum wie einem kleinen Mikrobus, in dem 3-4 Mal so viele Menschen sind wie eigentlich vorgesehen. Die ersten Reihen werden für Frauen reserviert, junge Männer machen Platz für Ältere, Taschen und kleine Kinder werden herumgereicht, damit die Kinder zumindest auf irgendeinem Schoß Platz finden und Taschen von denjenigen aufbewahrt werden, die mehr Platz haben als diejenigen, die von dem meist sehr jungen Busschaffner in den Bus geschoben werden, obwohl objektiv kein einziger Mensch mehr in diesen Bus passt. Die Busse sind in zweier Teams organsiert: Dem Busfahrer und dem Schaffner. Der Schaffner brüllt in einem gleichmäßigen Singsang das jeweilige Fahrtziel aus dem Bus, signalisiert dem Fahrer mit Klopfzeichen außen auf den Bus wann er zu halten hat und nimmt das Fahrtgeld von durchschnittlich 25 Rupien entgegen. Er hält das stets sortierte Geldbündel immer in seiner Hand und hängt in der Regel halb aus dem Bus, um permanent neue Passagiere in den Bus aufnehmen zu können. Er selbst hat meist kaum Platz, muss die Tür aber laut Gesetz schließen. Jede Fahrt ist ein kleines Abenteuer und jedes erreichte Ziel eine kleine Errungenschaft im verrückten Kathmandu. Ich bezahle nicht mehr als Einheimische. Manchmal denke ich sie haben Respekt davor, dass ich Bus fahre und nicht Taxi. Kaum spürbar und nur zu sehen, wenn man den Blicken aufmerksam folgt, geben sie Acht auf mich, schauen, dass ich meinen Stop nicht verpasse. Männer sitzen mit großem Abstand neben mir, um mich nicht zu bedrängen. Sie möchten nicht, dass ich Angst habe. All das findet unausgesprochen in einem Bus in den Straßen der Hauptstadt statt.

Trotz all dieser aufregenden und durchweg positiven Erfahrungen, bitte ich heute Bimala darum mich abzuholen. Diesmal weiß ich nicht was mich erwartet, in was für einem Zustand Kathmandu nach dem verheerenden Beben ist und folge meinem Instinkt, der mir sagt, dass ich eine vertraute Person um mich haben sollte. Sobald ich den Flughafen verlasse, ist dieses Gefühl verflogen. Ich atme tief durch, fühle mich wohl in „meinem Nepal“ und freue mich endlich wieder hier zu sein.

Auch die Fahrt nach Raniban, der Stadtteil, in dem ich überwiegend in Kathmandu wohne, nimmt mir dieses Gefühl nicht. Die Spuren des Erdbebens sind deutlich zu sehen und zu spüren. Eingestürzte Mauern, beschädigte Straßen und Gehwege, tiefe Risse in Häusern und zum Teil auch eingestürzte Häuser. Das Ausmaß der Zerstörung ist jedoch nicht so groß wie erwartet. Dazu kommt, dass das Leben offenbar wieder vollkommen normal und der Alltag wieder eingekehrt sind. Die Straßen sind voller Menschen, die Märkte und Geschäfte sind in Betrieb, der Verkehrt fließt (etwas weniger als an regulären Tagen, jedoch nur weil heute ein Feiertag ist). Kathmandu wirkt so zauberhaft und verrückt wie eh und je. Die Ruhe und Gelassenheit der Nepalis hat ihnen durch diese Zeit geholfen. Fast unerschütterlich nehmen sie das Schicksal wie es kommt und meistern diese Krise in Gemeinschaft, mit Liebe, Stärke und unbändiger Geduld.

Die Arbeit und das Leben in Nepal erfüllen mich. Die Abende im Kreise einer Familie, die mich aufgenommen haben als eine von Ihnen, Motorradfahrten mit Freunden durch die Straßen von Kathmandu, Einladungen zu Freunden nach Hause, zauberhafte Abende mit wunderbarem Essen, das Waschen meiner Wäsche auf dem Dach, die tägliche Herausforderung des öffentlichen Verkehrs, atemberaubende Sonnenaufgänge, Einblicke in Traditionen und Festlichkeiten, aber über allem die Liebe und Herzlichkeit der Menschen. Ich hatte großes Glück und habe Menschen getroffen und gefunden, die mich in ihrem Zuhause und ihrem Leben aufnahmen als gehörte ich schon immer dazu.

Die Menschen in Nepal haben sich ihr Wesen, ihre Art zu leben und ihre Herzlichkeit durch viele Krisen und Herausforderungen bewahrt. Auch das Erdbeben kann sie nicht erschüttern.

Die körperlichen und persönlichen Herausforderungen eines Landes wie Nepal waren diesmal dennoch deutlich für mich zu spüren. Ich hatte mit einer schweren Lebensmittelvergiftung zu kämpfen, die mir etwas Angst und mich sehr schwach machte. Auch in dieser Situation wurde ich umsorgt, gepflegt und aufgepeppelt durch Fürsorge, Heilung, Zuspruch, Gesellschaft von sehr verschiedenen Menschen, die mir sehr nah sind. Fern meiner Heimat habe ich in Nepal mehr als nur einen Ort gefunden, der wie ein Zuhause für mich geworden ist. Auch in Nepal begegnete ich persönlichen und schmerzhaften Konflikten, fand aber auch hier Halt und Unterstützung. Die Menschen haben Furchtbares erlebt und tragen die Angst vor erneuten Beben, die Sorge um ihre Zukunft immer mit sich. Die Sorge um diese Menschen und Zuneigung die ich für sie spüre, wiegen schwerer als persönliche Enttäuschung und Betroffenheit.

Ich wünsche mir, dass das zauberhafte Dach der Welt und die außergewöhnlichen Menschen dort endlich zur Ruhe kommen. Sie haben so viel erreicht in den letzten Jahren und ich habe keinen Zweifel daran, dass Nepal sich weiter entwickeln wird, auch wenn sie zur Zeit wieder kämpfen müssen, aufgrund der politischen Konflikte mit Indien und den geschlossenen Grenzen. Nepal wird niemals aufgeben.

Voller Vorfreude und Sehnsucht fiebere ich der nächsten Reise nach Nepal entgegen.

geschrieben von Jenna
(mehr von ihr: hier)

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